E-Mail von Oscar

Extrema, 17.9.2012

Liebe Renate,

Wir freuen uns zu wissen, dass ihr alle nach Brasilien kommt. Natürlich seid ihr alle willkommen im Recanto. Nur ist das Gästehaus belegt und das alte Voluntarios Haus … im Moment … sehr unbewohnbar. Ich werde Svani fragen, ob es möglich wäre, dass ihr auf dem Portão do Ceu (Name des Hauses für die älteren Jugendlichen in Extrema, bedeutet wörtlich übersetzt “Himmelspforte”) schlafen könnt. Ich glaube das wird schon gehen.

Über dass Heim folgendes:

Wir machen weiterhin eine schöne Arbeit. Immer mehr bin ich überzeugt, dass wir nicht umsonst das Heim “Recanto São Francisco” genannt haben. Damals waren es die Leprosen, die nicht mehr Anteil an der Gesellschaft nehmen durften, jetzt sind es die jungen Erwachsenen, die lange Zeit von allen vergessen worden sind und viel Unangenehmes haben verzehren müssen.

Diese junge Leute haben kaum Vertrauen, dass die Zukunft besser wird. Sie sind frustriert, verärgert, böse und ohne Aussicht.

Leider sind wir nicht viel weiter als damals im Mittelalter. Die Gesellschaft meint, dass es sich nicht lohnt, diesen verärgerten jungen Leuten zu helfen. Sie sind schon zu alt, haben zu viel mit erleben müssen und es wäre zu kostspielig da noch etwas zu unternehmen. Schlimmer noch … man wüsste nicht, ob es gute Resultate geben würde.

Deswegen vergisst man diese jungen Erwachsenen. Man versucht, die jungen Kinder zu retten. Die sollen schnellstens reintegriert werden in den Familien oder adoptiert werden.

Junge Erwachsene kann man nicht zurück in die Familie schicken, weil sie sich dort verlieren würden. Adoption ist auch schwierig, da, um so älter die Kinder sind, um so länger und schwieriger wird es sein die Kinder auf den richtigen Pfad zu bringen. Da braucht man viel Geduld, darf nicht aufgeben und braucht sehr viel Vertrauen, dass es irgendwie in Ordnung kommt, ohne zu viel zu erwarten.

Im sozialen Bereich möchte die Regierung (aber auch die Firmen) Resultate. Die brauchen gute Statistiken, damit gezeigt wird, dass viele Kinder re-integriert worden sind in die Familien … adoptiert worden sind und nicht, dass es so viele Kinder in Heimen gibt.

Was ist der soziale Mehrwert dieser Statistiken. Man sollte sich die Frage stellen, wo man einen Unterschied macht im Leben dieser Kinder. Kinder, die die Statistiken ausfüllen kommen gut aus ohne Sozialhilfe. Da wird das Leben von denen kaum geändert. Kinder, die nicht in den Statistiken vorgeführt werden können, brauchen soziale Hilfe … weil sie ohne Hilfe nur noch mehr abstürzen und … die Gesellschaft mit zunehmender Kriminalität mit nach unten schleppen würden.

Die jungen Erwachsenen, die ihre Grundrechte in den ersten Jahren nicht bekommen haben, kann man nicht in kurzer Zeit … neu erziehen. Da braucht man Zeit … viel Zeit.

Deswegen lohnt es sich nicht, weder für die Regierung … noch für Public Relations von den Unternehmen. Einfach zu viel Aufwand. Es sind die Leprosen unserer Gesellschaft in 2012.

Wir machen weiter. Kämpfen für sie, auch wenn sie selber und die Gesellschaft nicht daran glauben. Vielleicht hat das damit zu tun, Instrument Gottes Liebe zu sein … geben, ohne etwas zurück zu erwarten. Es geht ja nicht um das Resultat, aber ob man das Richtige tut.

Denke immer wieder, wir sind eine große Familie. Wir kommen von Gott und finden uns wieder in Gott. Sind alle auf dem gleichen Weg. Auf dieser Reise gibt es nur eine Aufgabe, wir müssen zusammen ankommen, alle müssen mit eingeschlossen sein. Bestimmt unsere Kinder! Vielleicht sollte man jede Gesellschaft neu betrachten im Vergleich, wenn man von Entwicklung und Errungenschaften redet: Wie behandeln die verschieden Gesellschaften ihre Kinder oder denjenigen, der unmündig ist … der sich nicht verteidigen kann.

Vielleicht muss man feststellen, dass sich gar nicht so viel geändert hat im Vergleich mit dem Mittelalter. Es gibt leider noch immer viele, die nicht mit eingeschlossen sind.

Hat der Recanto São Francisco nicht wahnsinnig viel zu tun mit eurer evangelischen Kirche. Wir möchten mit … einschliessen. Sind eine große Familie und so lange man tut, was man tun kann … ist man auf dem richtigen Weg. Auf einmal sieht man, dass man etwas, was man vorher für unmöglich gehalten hat, ermöglicht hat. Gott bietet uns Aufgaben und Erfolge, die man nicht immer versteht, aber … die unsere Nächstenliebe prüft. Geben … ohne etwas zurück zu erwarten. Wenn man am wenigsten erwartet … kommt es auf einmal. Gottes Wege sind nicht immer verständlich. Man braucht Vertrauen, dass es immer in Ordnung kommt.

Danke euch für eure Hilfe, Vertrauen und Bruderschaft. Alleine erzeugt man kleine Wunder. Zusammen ändert man die Zukunft der Menschheit.

Obwohl wir heute nur noch 25 Kinder betreuen und nicht immer die Unterstützung bekommen, die wir brauchen, können wir wenigstens sagen, dass jedes Kind, das wir aufnehmen durften, eine neue Möglichkeit bekommen hat … das Leben neu anzufangen.

Renate, ich hoffe, dass du diese Botschaft weitergeben kannst. Es sind keine einfachen Zeiten, aber mehr denn je zuvor gibt es heute junge Mitmenschen, die eine liebevolle Hand brauchen. Hoffe, dass wir noch lange zusammen diese Arbeit ausführen dürfen.

Um grande abraço para todos,

Oscar

(um grande abraço para todos = eine große Umarmung für alle)